Im März 1988 sprach eigentlich nichts dafür, dass ich ein neues Pferd bräuchte, ich hatte nämlich
eines und war sehr glücklich damit. Der alte Gründer, ein Westfale, trug mich noch regelmässig
fröhlich-flott durchs Gelände und war kein bisschen langweilig. Und
außerdem hatte ich ja jeden morgen die Rennbahn wo ich schöne und schnelle Vollblüter im Training
reiten und zu Rennen begleiten durfte. Herz, was willst du mehr....?
Man sieht aber, der Vollblutvirus hatte schon heftig zugeschlagen, das hätte mir eigentlich eine
Warnung sein müssen. War es aber nicht und als ein Bekannter mich wegen eines
Auslandsaufenthaltes bat, mich um seine hochtragende Vollblutstute zu kümmern, die auf demselben
Hof wie Gründer stand, sagte ich gerne ja. Die zickige aber höchst charismatische Vollblutdame
Chillon machte das Ganze dann auch sehr spannend und liess uns alle volle 14 Tage "zappeln", tat
immer mal so, als wolle sie in den nächsten Stunden abfohlen und entschied sich dann doch dagegen.
Im Klartext hiess das, ich tigerte jeden Abend so gegen 23.00 zum Stall, um nach dem Rechten zu
sehen, während der alte Bauer, dem der Hof gehörte, dann die Nachtkontrolle gegen 3 Uhr morgens
übernahm.
Am 8. März 1988 (es war saukalt) kam ich nach einem leckeren Abendessen mit Freunden erst gegen
Mitternacht am Stall an. Da Chillon Störungen ihrer Nachtruhe sehr übel nahm peilte ich durch ein
Astloch in der Tür in die riesige, spärlich beleuchtete Abfohlbox und sah Chillon zunächst
gemütlich Heu kauend in der Ecke stehen. Sie wanderte danach ein wenig unmotiviert herum (meine
Spannung stieg) aber dann stellte sie sich in die Ecke, entlastete das eine Hinterbein und schien
sich auf "schlafen" einstellen zu wollen. Ich wartete eine weitere Viertelstunde, die Stute stand
völlig relaxed da. Mittlerweile völlig durchgefroren trotz Daunenjacke dachte ich "das wars mal
wieder" und wendete mich zum Gehen. Ein letzter Blick auf Chillon liess mich jedoch schlagartig
wieder wach werden, kalt war mir plötzlich auch nicht mehr: deutlich sichtbar stiegen
Dampfschwaden über der Kruppe der Stute auf, sie begann offenbar, heftig zu schwitzen, trotz
immer noch entspannter Körperhaltung. Kurze Zeit später nahm sie ihre rastlose Wanderung wieder
auf und legte sich dann hin.
Ich joggte zum Telefon, um den Bauern aus dem Bett zu werfen
und als ich wiederkam waren bereits
die Fruchtblase und die beiden Vorderbeine zu sehen. Ich ging dann vorsichtig hinein in die Box
und nun ging es Schlag auf Schlag. Die Stute stöhnte und presste und so wie es sein sollte
erschien der Kopf des Fohlens auf den Vorderbeinen und kurz danach der ganze Körper. Vorsichtig
schob ich die Fruchtblase zurück, damit der kleine Kerl atmen konnte und er schaute mich aus
grossen Fohlenaugen verwundert an. Eine sichelförmiger Stern und ein ganz schmaler Nasenstrich
waren das einzige Weiß an dem sonst pechschwarz erscheinenden kleinen Traumpferdchen. Im
"trockenen" Zustand stellte sich später zwar heraus, dass seine Originalfarbe ein ganz ordinäres
Braun war, aber ich war ihm bereits restlos verfallen. Irgendwie wusste ich bereits damals, dass
dies einmal "mein" Pferd sein musste...
Unsere traute "Dreisamkeit" war jetzt aber schnell zuende, zunächst kamen der Bauer und seine
Frau und kurz darauf der Tierarzt. Hektische Geschäftigkeit kam auf, Stute und Fohlen wurden
abgerubbelt, untersucht und versorgt und dann saßen wir alle vier noch mit einem Glas Sekt in der
grossen Box und warteten, bis der Kleine entdeckt hatte, wozu seine Beine gut sind und wo es
Nahrung gibt. Diese friedliche und einfach glückliche Stimmung dort in der grossen Fohlenbox
beim Anblick des zufrieden saugenden, gesunden Fohlens werde ich mein Leben lang nicht vergessen.
Gegen 3.00 lag ich dann zuhause im Bett, geschlafen habe
ich in dieser Nacht aber wohl nicht mehr......
Chillons Sohn bekam den Namen Courage. Sein Fohlen- und Jährlingsjahr verbrachte er weiter auf
"unserem" Hof so dass ich ihn aufwachsen und sich entwickeln sehen konnte. Im Sommer stand dann
das Wort "Auktion" in der Luft und brachte mich zum Schwitzen. Ich signalisierte Interesse , ich
musste dieses Pferd haben! Wir einigten uns auf einen Preis bar und
aus dem Gewinn. Ich rechnete alles durch, schlachtete sämtliche Sparschweine, löste einen
Sparvertrag auf, pumpte meine Eltern an und sprang dann ins kalte Wasser. Am 1. August gehörte
Courage mir.
Mittlerweile ist mein Pferd 20 Jahre und ich habe den Kauf nie bereut. Er ist "das" Pferd für
mich. Ich habe ihn eingeritten, mit ihm gearbeitet, ihn im Rennstall im Training selbst geritten,
bin mit ihm zu Rennen gefahren, habe wenige Rückschlage und mehr Erfolge mit ihm erlebt. Er hat
für mich entsprechend seinem Vermögen seine Leistung gebracht und Rennen gewonnen. Er war ein
traumhafter Ritt jeden morgen und später das "weltbeste" Führpferd (O-Ton Trainer) für die
Jungpferde und für die Startmaschinenanfänger. Wir hatten eine supertolle Zeit im Rennstall und
mein Pferd hat diesen gesund im Kopf und auf den Beinen Anfang neunjährig dann verlassen.
Danach stand er wieder auf dem Hof, wo er geboren wurde und später nach einem familienbedingten
Umzug auf einem anderen kleinen Hof. Er hat dort täglichen Weidegang in einer Gruppe von 9
Pferden, und mischt seine warmblütigen Kumpels oftmals ganz schön auf. Galoppieren ist immer
noch eines seiner bevorzugten Hobbys.
Nachdem wir die erste Zeit nach dem Rennstall
aktiv an unserer Dressur gearbeitet haben, reite ich
ihn mittlerweile aus gesundheitlichen Gründen hauptsächlich im Gelände, und da wir uns ganz genau
kennen ist er für mich ein super zuverlässiges aber keineswegs langweiliges Pferd. Genie und
Wahnsinn waren bei ihm immer schon nur einen Herzschlag auseinander, in dieser Beziehung ist er
sich treu geblieben. Und obwohl er mit mir immer für eine lustige Buckelei, einen kleinen Spurt
oder ein schnelles Abdrehen als "Reaktionstest" gut ist, gibt er für meine beiden kleinen Kinder
brav das Kinderreitpferd und macht mit ihnen keinen falschen Schritt - ein echtes Charakterpferd
eben!
Courage wird bei mir alt werden und ich hoffe, dass er und ich noch viele gesunde und zufriedene
Jahre miteinander vor uns haben.